Familien in großer Geschichte

Veröffentlicht am 26.02.2022 in Allgemein

Text und Bilder: Helmut Grohmann, Augsburg

Hochzeit am 26.5.1934 in Georgswalde: Hedwig Horn (geb. 4.4.1907) und Rudolf Grohmann (geb. 29.20.1905) lernten sich 1929 beim Reichsarbeitertag in Karlsbad kennen

 

Beitrag der Seliger Gemeinde zur Familiengeschichte Grohmann

Helmut Grohmann entdeckte 2020 auf unserer Homepage den Bericht zum Reichsarbeitertag 1929 in Karlsbad und erzählt dazu seine Familiengeschichte:

Am 26. Mai 2020 erhielt ich eine WhatsApp-Nachricht von meinem Bruder: “Weißt du, dass heute der Hochzeitstag unserer Eltern ist? Wann haben die sich eigentlich kennengelernt? Bei irgendeinem Jugendtreffen in Eger?“ Ich suche in alten Unterlagen, recherchiere im Internet. Bei der Seliger-Gemeinde Bayern werde ich fündig: nicht Eger, aber Karlsbad - Reichsarbeitertag in Karlsbad 1929. Unsere Eltern waren dort mit den Naturfreunden – mein Vater Rudolf (24) aus Georgswalde (heute: Jiříkov), meine Mutter Hedwig, geb. Horn (22) aus Böhmisch Kamnitz (heute: Česká Kamenice). Wie sie sich genau gefunden haben, ist nicht überliefert. Aber sie erzählten immer wieder davon, wie begeistert sie von diesem Ereignis waren. Das verstehe ich erst jetzt richtig, nachdem ich die Berichte über den Reichsarbeitertag gelesen habe. Eine gewaltige Veranstaltung von bis zu 60.000 Menschen – Arbeitern! Und das in dieser Stadt, in der sich sonst nur die Reichen und Schönen Europas trafen. Es ist heute wohl gar nicht mehr vorstellbar, welche Kraft und welches Selbstbewusstsein die Teilnehmer aus diesem Treffen geschöpft haben mögen!

Meine Eltern jedenfalls gingen nun ihr gemeinsames Leben voller Zuversicht und Tatendrang an. Mein Vater arbeitete als Poliermeister in einer Möbelfabrik in Sachsen, meine Mutter als Verkäuferin im Konsum. Mein Vater errichtete einen Anbau an das Elternhaus in Georgswalde, und 1934 wurde geheiratet. 1936 kam mein Bruder Walter auf die Welt, ich 1939. Der Vater wurde 1940 zum Militär eingezogen und in Russland eingesetzt. Im Herbst 1945 kam er schwer verletzt aus russischer Gefangenschaft zurück.

Die Großeltern Adolf und Emma Grohmann mit ihren Kindern Rudolf und Elsa vor dem Haus in Georgswalde

Mein Großvater (väterlicherseits) war Ortsvorsitzender der DSAP in Georgswalde und kam deshalb bei den Nazis ins Gefängnis. Von den Tschechen wurde er als „Antifaschist“ anerkannt. Unsere Familie wurde deshalb davor bewahrt, das Haus in wenigen Stunden räumen zu müssen, so wie es unseren Nachbarn geschah. Deshalb auch wurden wir erst im September 1946 „ausgesiedelt“. Nach tagelangem Transport im Güterwagen und einigen Wochen Flüchtlingslager begann unser neues Leben in Eschwege/Nordhessen, damals amerikanische Besatzungszone.

Unsere Familie war fest im sozialdemokratischen Milieu verwurzelt. Diese Einbindung war für uns sehr hilfreich beim Neubeginn in Deutschland, denn sudetendeutsche Sozialdemokraten kümmerten sich bei den Behörden um uns Flüchtlinge. Es war für uns selbstverständlich, dass wir in den verschiedenen sozialdemokratischen Gruppierungen engagiert waren – in der SPD, der Arbeiterwohlfahrt, im Konsum, in der Seliger-Gemeinde. Meine Eltern blieben diesen Organisationen bis zum Lebensende treu.

Mein Bruder und ich waren natürlich Mitglied in linken Jugendorganisationen – bei den Falken, später in der Arbeiterwohlfahrtjugend. Wir wuchsen auf mit Jugendabenden, Zeltlagern, Volksliedern und Volkstanz, Theatervorführungen bei den Weihnachtsfeiern usw. Als Jugendliche gingen wir langsam auf Distanz zu diesen Aktivitäten. Das hatte auch etwas damit zu tun, dass mein Bruder und ich aufs Gymnasium gehen konnten (Schulgeldfreiheit im SPD-regierten Hessen!) und wir auch andere Milieus kennen lernten.

An eine entscheidende Episode erinnere ich mich: ein väterlicher Freund wollte mich als Nachwuchs in der SPD aufbauen und nahm mich zu einer Bezirkskonferenz mit. In seiner Ansprache wetterte der Vorsitzende unter anderem darüber, dass die „Jugend von heute“ sich nicht mehr für den Volkstanz und andere Traditionen interessiere. Ich war darüber so empört, dass ich ihm sagte, dass wir Jungen nicht deshalb schlecht wären, nur weil wir lieber Jazz hörten und Rock´n Roll tanzten anstatt Volkstanz. Damit war es aus mit meiner Parteikarriere, noch ehe sie begonnen hatte.

Wenn wir uns auch äußerlich vom sozialdemokratischen Milieu in Eschwege zunehmend distanzierten, hatten wir doch die Werte, für die unsere Großväter und Eltern gelebt und gekämpft haben, internalisiert. Gerechtigkeit, Solidarität, Frieden, Freiheit und das Streben nach Wissen und Bildung gehörten und gehören auch jetzt noch zu unserem Wertekanon. Ich konnte als erster in unserer Familie studieren – ein Privileg, für das auch meine beiden sozialdemokratischen Großväter gekämpft haben. Ich empfinde dafür tiefe Dankbarkeit. Die Berichte über den Reichsarbeitertag in Karlsbad 1929 haben mich wieder daran erinnert.

 
 

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