seliger-online 20.3.2023 - Abendschule

Veröffentlicht am 23.03.2023 in Allgemein

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Russland und die sudetendeutsche Sozialdemokratie

Nach dem Gespräch mit dem Historiker Andreas Wiedemann präsentierte Thomas Oellermann eine weitere Folge unserer ABENDSCHULE.

Das Verhältnis der sudetendeutschen Sozialdemokratie zu Russland ist sehr differenziert und veränderte sich im Laufe der Zeit. Da es keine Zeitzeugen gibt, beschränkt sich der Wissensstand auf die Auswertung von Zeitungsberichten und anderer Publikationen.

„Vor dem Ersten Weltkrieg war das Verhältnis zu Russland nicht weiter ausdifferenziert. Die Sozialdemokratie richtete ihren Blick auf viele Länder der Welt – Russland war eins von ihnen“, so Thomas Oellermann in seiner Einführung. Was kritisch gesehen wurde, war natürlich die Ausbeutung und Unterdrückung der Untertanen im zaristischen Russland, ergänzte Oellermann.

Während des Ersten Weltkrieges mussten viele sudetendeutsche Sozialdemokraten auch an die russische Front, was unbeschreibliches Leid und große Verluste bedeutete. Wer in Gefangenschaft geriet, landete oftmals am Ende der Welt in Zentralasien. Hier kam es in einigen Fällen zur Radikalisierung der Inhaftierten u.a. durch den Kontakt mit den Bolschewiki, so dass bei der Oktoberrevolution der eine oder andere ehemalige Sozialdemokrat plötzlich auf Seiten der roten Truppen Lenins kämpfte. Einer von ihnen war Richard Reitzner, der später eine zentrale Rolle in der DSAP spielte. Die Kriegsgefangenen kamen auf abenteuerlichsten Wegen zurück in die Heimat – entlang der Transsibirischen Eisenbahn und dann übers Meer, etwa via Panama.

Entscheidend für das Verhältnis zu Russland war die Spaltung der Arbeiterbewegung 1920/21, erklärte der Historiker Thomas Oellermann. In der DSAP konkurrierten schon vor der Gründung der Kommunistischen Partei ein rechter und ein linker Flügel miteinander. Die Spaltung der Partei setzte sich in den Gewerkschaften und Vorfeldorganisationen der Sozialdemokratie über Jahre fort und schlug tiefe Wunden zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten. Während des Sowjetisch-Polnischen Krieges (1919-1921) streikten Teile der Arbeiter gegen Waffenlieferungen an Polen, um den Arbeiterstaat Russland zu unterstützen.

Nach Gründung der UdSSR kam es zu Reisen von Arbeiterdelegationen in das kommunistische Land mit anschließenden begeisterten Berichten – es folgten von Seiten der Sozialdemokratie gegen Mitglieder Ausschlussverfahren wegen sowjetischer Propaganda. Die DSAP schickte daraufhin den Journalisten Emil Strauß nach Russland, um aus erster Hand über die Zustände im Kommunismus zu berichten.

Andererseits warben sowjetische Delegationen in der Tschechoslowakei für den Kommunismus, was zu großen Diskussionen und Auseinandersetzungen z.B. im Rahmen großer, internationaler Sportereignisse führte.

Diese schmerzhaften Erfahrungen, die durch den Verlust vieler Partei-/Vereinsmitglieder bis hin zu materiellen Verlusten, z.B. durch die kommunistische Übernahme von Volkshäusern, untermauert wurden, machten dann in den 30er Jahren einen Schulterschluss der Linken gegenüber den Nazis unmöglich und schwächte den Widerstand deutlich. Selbst die Verhaftungswellen nach dem Münchner Abkommen, die Kommunisten und Sozialdemokraten gleichermaßen trafen, änderten daran wenig. Wer nicht ins KZ kam oder fliehen konnte, kam als zwangsrekrutierter Wehrmachtssoldat oftmals an die russische Front und endete wie in vielen Fällen in sowjetischer Gefangenschaft.

Abschließend, so Oellermann, könne man sagen, dass das Verhältnis zwischen der sudetendeutschen Sozialdemokratie und Russland bzw. der Sowjetunion lange Zeit äußerst differenziert und schwierig war. Dieses Verhältnis spiegelt sich auch in der Parlamentsrede Wenzel Jakschs vom 3. Dezember 1937 zum Staatshaushalt, Bereich Wirtschaften, Verkehr und Finanzen wieder:

„Mag man zu Rußland stehen wie immer, Rußland wird einer der wichtigsten Märkte der Zukunft sein, auch für unsere čechoslovakische und sudetendeutsche Industrie. Mag man das System drüben ablehnen oder anerkennen, niemand kann bestreiten, dass das gewaltige aufstrebende russische Volk in aller Zukunft eine große politische und ökonomische Rolle zwischen Europa und Asien spielen wird“.

Auch diesen Beitrag zur ABENDSCHULE können Sie jeder Zeit als Podcast anhören.

 
 

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