Frühjahrsseminar 2023

Veröffentlicht am 12.05.2023 in Allgemein

Die Referentinnen: Tetiana Pastushenko (re.) und Janna Keberlein (li.)

Gedenkstättenarbeit in der Ukraine

„Ich habe Hitler überlebt, Stalin überlebt und dieses Arschloch Putin werde ich auch überleben!“ (Zitat der 96-jährigen Anastasia Gulej, Ausschwitzüberlebende aus Kyjiw)

Natürlich hatte das Frühjahrsseminar 2023 auch wieder einen aktuellen Bezug zur Ukraine. Die Historikerin Janna Keberlein konnte durch ihre sehr guten Kontakte in die Ukraine ihre Kollegin Dr. Tetiana Pastushenko aus Kyjiw, die nun in Heidelberg arbeitet, für einen Vortrag gewinnen. Thema war die Gedenkstättenarbeit in der Ukraine unter aktuellen Bedingungen und die Hilfe für Überlebende NS-Opfer.

Tetiana Pastushenko promovierte 2007 an ihrer Arbeitsstätte, dem Institut des Zweiten Weltkrieges an der ukrainischen Akademie der Wissenschaften in Kyjiw, zum Thema “Die Ostarbeiter aus der Ukraine: Deportation, Zwangsarbeit, Repatriation.“ Seit mehr als 30 Jahren forscht sie nun zur Geschichte des Zweiten Weltkrieges, insbesondere zu den Schicksalen sowjetischer Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter*innen, Gefangener von Nazi-Konzentrationslagern und Opfern der stalinistischen Repressionen. Sie ist Autorin mehrerer Bücher zu Zwangsarbeit und Zwangsarbeiter*innen im und nach dem Zweiten Weltkrieg. Außerdem hat sie mehrere internationale Projekte begleitet und organisiert, darunter „Zeitzeugen-Dokumentation zur Geschichte der Sklaven- und Zwangsarbeit im nationalsozialistischen Deutschland“, und „Das Niederlassen von Repatriierten in Kiew verboten: zur Nachkriegslage der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in der sowjetischen Gesellschaft (1945 – 2000)“. Sie leitete u.a. deutsch-ukrainische Projekte bei denen sie auch Janna Keberlein kennengelernt hatte.

Tetiana Pastushenko erzählte, von Janna Keberlein übersetzt, dass sie am Vortag des Krieges die Ukraine mit einer Kollegin und deren 5jährigen Sohn verlassen habe, während die beiden Ehemänner in den Krieg zogen. Pastushenko betonte die beispiellose Unterstützung ihrer deutschen Freund*innen und Kolleg*innen die mit Geld, Wohnung und schließlich mit einer Gastproffesur am Institut für Geschichte der Ukraine der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg gipfelte. Auch rund 20 ihrer Kolleg*innen wurden mit Forschungsstipendien im Ausland unterstützt.

Durch ihre Arbeiten hatte Tetiana Pastushenko engen Kontakt zu Überlebenden des NS-Regimes und organisierte die offiziellen Hilfeleistungen der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (Stiftung EVZ) vor Ort. Die rund 1000 überlebenden Häftlinge und Zwangsarbeiter*innen sind in einem Verein organisiert und weit über 90 Jahre alt. Pastushenko beschrieb beispielhaft das Wirken der 96jährigen Anastasia Gulej aus Kyjiw, die auf einem eigenen Instagramm-Account aktiv gegen die russische Aggression arbeitet.

Zum zentralen Punkt ihres Vortrages, der Arbeit der Gedenkstätten und Archive, erklärte Pastushenko, dass es in der Ukraine rund 5000 Museen und Gedenkstätten mit staatlicher Förderung gebe, davon seien aber 4000 in privater Hand. Viele davon, insbesondere die 50 großen staatlichen Archive hätten unter den russischen Angriffen schwer zu leiden, so die Referentin. Die Stiftung EVZ, deutsche Gedenkstätten und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) leisteten Hilfe bei der Sicherung der bestände, so Pastuschenko weiter. Doch seien es auch die Mitarbeiter*innen, die wertvolle Artefakte mit nach Hause nähmen und dort in Sicherheit brächten. Anschließend zeigte Pasushenko Bilder einer Internetseite, auf der das ukrainische Kulturministerium die Zerstörung ukrainischer Archive und Plünderungen durch russische Soldaten, wie etwa im Heimat- du Kunstmuseum in Kherson, das nur wenige Tage von den Russen besetzt war.

Tetiana Pastushenko berichtete über internationale Hilfe durch die Denkmäler mit Sandsäcken eingebaut und zigtausendfach Dokumente digitalisiert wurden. Dies sei der einzige Weg der Sicherung, da es keinen Ort in der Ukraine gebe, wo Artefakte sicher eingelagert werden könnten. Besonders betonte die Referentin, dass das Washingtoner Memorial bisher 10 Millionen Quellen gescannt und online gestellt habe. Auch Deutsche Institutionen würden mit ihren ukrainischen Partnern derzeit 48 große und kleine Museen aber auch Einzelpersonen unterstützen. Dabei würde völlig unbürokratisch Geld, auch Klein- und Kleinstsummen, für Scanner, aber auch Bretter für zerstörte Fenster zur Verfügung gestellt.

Pastushenko äußerte aber auch Kritik an ihrer Regierung, die es versäumt habe, nach dem Überfall 2014 auf die Krim, entsprechende Maßnahmen getroffen zu haben und so vom Angriff 2022 völlig überrascht worden zu sein. Insbesondere kritische Archive, wie das des Sicherheitsdienstes in Tschernihiw wurden weder gesichtet noch geschützt – so wisse man heute gar nicht was bei der Zerstörung in den ersten Kriegstagen verloren gegangen ist.

In der Diskussionsrunde zeigte sich, dass die ukrainischen Museen und Archive weiterhin, so weit möglich, offen und für die Forschung zugänglich sind. Ebenso die wissenschaftlichen Lesesäle in Kyjiw. Die Digitalisierung laufe auf Hochtouren und werde nur durch Schutzsuchen im Keller bei Luftangriffen unterbrochen. So hätten sich die Menschen, erzählte Pastushenko weiter, an den Krieg gewöhnt und führten trotz Luftalarm ein „normales“ Leben.

Die Frage nach aktuellem Hilfsbedarf, beantwortete die Referentin dahingehend, dass dies sehr differenziert sei und nur mit Hilfe örtlicher Partner spezifiziert werden könne.

Schließlich ging es noch um die Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus. Hier erfuhren die Teilnehmer, dass es rund 2 Millionen Ukrainer*innen gab, die als Zwangsarbeiter*innen oder Verfolgte zählten – davon hätten rund 470.000 eine kleine Entschädigung erhalten.

 

Untenstehend finden Sie die Links zu den Webseiten mit weiteren Infos zum Vortrag von Tetiana Pastushenko und zur Geschichte der NS-Zwangsarbeit:

 

1. Webseite des ukrainischen Kulturministeriums auf Englisch zur aktuellen Situation der Archive, Museen und Gedenkstätten:

https://restore.mkip.gov.ua/en

 

2. Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft: Entschädigung der ehemaligen NS-Zwangsarbeiter*innen:

https://www.stiftung-evz.de/wer-wir-sind/geschichte/aufarbeitung-ns-zwangsarbeit/

 

3. Museum über die Geschichte der NS-Zwangsarbeit in Berlin:

https://www.ns-zwangsarbeit.de/ausstellungen/

 

4. Ukrainisches Museum zur NS-Zwangsarbeit in der besetzten Ukraine in der Stadt Schostka, englischsprachige Webseite & digitaler Rundgang:

https://shostkamuseum.com.ua/en/

 
 

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