Lemberg/Lwiw

Veröffentlicht am 07.03.2022 in Allgemein

Eine Wiege der Sozialdemokratie

Während des Angriffs Putins auf die Ukraine ist immer wieder die Stadt Lwiw/Lemberg im Fokus der Berichterstattung. Ein Grund einen genaueren Blick auf diese Stadt mit ihrer wechselvollen Geschichte zu werfen, denn sie spielt auch in der Geschichte der Sudetendeutschen Sozialdemokraten, aber auch der polnischen und österreichischen Sozialdemokratie eine wichtige Rolle.

 

In Lemberg wurde am 14. Februar 1870 Ludwig Czech geboren. Er war ab 1920 Vorsitzender der DSAP und bekleidete ab 1929 in der ersten tschechoslowakischen Republik mehrere Ministerposten. In dieser Position verblieb er bis zum Ausscheiden der DSAP aus der Regierung 1938. Czech gilt als maßgeblich verantwortlich für den integrativen Kurs der DSAP, der konstruktiven Mitarbeit der deutschen Minderheit in der jungen tschechoslowakischen Republik vorsah. Er wurde wegen seiner jüdischen Herkunft 1942 im Holocaust ermordet.

 

Nicht zu vergessen auch sein Bruder Arnold Czech, der am 6. Oktober 1868 ebenfalls in Lemberg geboren wurde. Während des Studiums in Wien engagierte sich Arnold Czech in dem der österreichischen Sozialdemokratie nahestehenden „Österreichischen Studentenverein“. Er arbeitete nach dem Studium in den Elendsvierteln von Wien als Kassenarzt. Danach wurde er Chefarzt der späteren kaufmännischen Krankenkasse und leitender Arzt im 1909 errichteten Krankenhaus der Wiener Kaufmannschaft.

 

Arnold Czech engagierte sich für den Ausbau der Sozialversicherung – darunter einer Familienversicherung – und trat für eine umfassende, unentgeltliche und regelmäßige Gesundheitsuntersuchung ein. Während der Weltwirtschaftskrise organisierte er 1932 die Aktion „Jugend in Not“, mit der eine unentgeltliche ärztliche Hilfeleistung für arbeitslose Jugendliche in Wien ins Leben gerufen wurde.

 

Arnold Czech, der jüdischer Herkunft war und nach dem „Anschluss“ im März 1938 von den Nationalsozialisten verfolgt wurde, flüchtete mit seiner Ehefrau nach Großbritannien, wo er im Februar 1956 verstarb.

 

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Lemberg im Wandel der Zeit

Das heutige Lwiw, auf Deutsch Lemberg, ist eine Stadt in der westlichen Ukraine mit etwa 730.000 Einwohnern und hat eine bewegte Vergangenheit. Lemberg ist seit Jahrhunderten vom Zusammenleben mehrerer Ethnien geprägt. Bis ins 20. Jahrhundert gab es neben einer polnischen Bevölkerungsmehrheit einen großen Anteil an Juden und Ukrainern. Daneben gab es noch verschiedene Minderheiten, etwa deutschsprachige, bedingt durch die österreichisch-ungarische Geschichte, sowie armenische Bevölkerungsteile. Lemberg war die Hauptstadt Galiziens und mit der Technische Hochschule eine der Universitätsstädte der k.u.k.- Monarchie.

 

Der polnischen Herrschaft (1349–1772) folgte die Zugehörigkeit zu Österreich-Ungarn (1772–1918).  Nach dem zum Ende des Ersten Weltkriegs in Lemberg am 1. November 1918 die Westukrainische Volksrepublik ausgerufen wurde, erfolgte erneut die Okkupation durch Polen (1918–1939). Im September 1939 wurde Lemberg, trotz heftiger polnischer Gegenwehr, aufgrund des Hitler-Stalin-Pakts in die Ukrainische Sowjetrepublik gezwungen (bis 1941). Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 erfolgte der Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Lemberg. 1944 kam Lemberg wieder unter sowjetische Herrschaft, wobei die meisten dort ansässigen Polen im Zuge der Zwangsumsiedlung vertrieben wurden. Viele Ukrainer, die zuvor im polnischen Westgalizien und in Zentralpolen gelebt hatten, wurden gleichzeitig aus Polen zwangsumgesiedelt und von der UdSSR in oder bei Lemberg angesiedelt.

 

Seit 1991 ist Lwiw/Lemberg Teil der unabhängigen Ukraine. Am 24. Februar 2022 ordnete der russische Staatspräsident Putin den Überfall auf die Ukraine an. Lemberg wurde für Hundertausende von Flüchtlingen zum Tor in den Westen.

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Deutsche Sozialistische Arbeiterpartei in Polen

 

Weiter sollte Siegmund Glücksmann (geb. 30. Mai 1884, Radocza (Österreich-Ungarn, heute Polen), gest. 6. Oktober 1942, Buchara, Usbekische SSR) genannt werden. Er war ein deutsch-jüdischer sozialistischer Politiker, der in den 1920er und 1930er Jahren eine der bekanntesten Figuren der sozialistischen Bewegung der deutschen Minderheit in Polen war. 1905 studierte er in Krakau und wurde 1910 Mitglied der Jüdischen Sozialdemokratischen Partei (?PSD). Die Partei bemühte sich um den Anschluss an die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Österreichs, was jedoch abgelehnt wurde. Die ?PS wurde die größte Organisation jüdischer Arbeiter in Galizien.

 

Nach der Umsiedlung ins polnisch-schlesische Bielsko an der tschechoslowakischen Grenze wurde Glücksmann in den Stadtrat gewählt. 1920 war er im sozialdemokratischen Wahlblock "Forward" aktiv. Er war eine führende Persönlichkeit der Sozialdemokratischen Partei in Bielsko und arbeitete mit deren Presseorgan Volksstimme zusammen. 1922 gelang es ihm, den Zweig Bielitz der Sozialdemokratischen Partei mit den deutschen sozialdemokratischen Parteiorganisationen in Oberschlesien zur Deutschen Sozialdemokratischen Partei (DSDP) zusammenzuführen. Die DSDP versuchte, deutsche Sozialisten in der gesamten polnischen Republik zu organisieren. Die DSDP entwickelte sich später nach einer Reihe von Fusionen zur Deutschen Sozialistischen Arbeiterpartei in Polen (DSAP).

 

In Bielsko begannen die lokalen Nationalsozialisten 1935 eine Belästigungskampagne gegen Glücksmann. Infolgedessen trat Glücksmann von seiner Position als Vorsitzender der DSAP-Organisation im Unterbezirk Bielsko zurück. Die Angriffe gegen die Partei nahmen jedoch nicht ab. Im September 1939 flohen Glücksmann und seine Familie nach Lemberg/Lwów(pol.). Hier begann er als Lehrer zu arbeiten. Im Herbst 1940, als das Gebiet von den Sowjets übernommen wurde, wurde er nach Yoshkar-Ola deportiert, wo er als Holzfäller arbeitete. Nach seiner Entlassung zog er im Herbst 1941 nach Buchara, wo er am 6. Oktober 1942 in einem Buchara-Krankenhaus an Typhus starb. Seine Frau und seine Kinder kehrten später nach Polen zurück und wanderten schließlich nach Schweden aus.

 

Wichtige Namen der polnischen Sozialdemokratie: Herman Diamand und Józef Hudec

 

1892 wurde die Polnische Sozialdemokratische Partei Galiziens und Schlesiens wurde 1892 in Lemberg als Galizische Sozialdemokratische Partei (Galicyjska Partia Socjaldemokratyczna bzw. Socjaldemokratyczna Partia Galicji) gegründet. Um 1899 trennte sich die Ukrainische Sozialdemokratische Partei Galiziens und der Bukowina ab und für die polnische Partei wurde seitdem der Name Polska Partia Socyalno-Demokratyczna (PPSD) verwendet.

 

In der Reichstagswahl 1907 und 1911 wurden sechs bzw. sieben Mitglieder der PPSD zum Abgeordnetenhaus gewählt – zwei davon aus Lemberg: Herman Diamand und Józef Hudec.

 

Ab 1897 war Józef Hudec Direktor der Städtischen Krankenkasse in Lemberg. Von 1903 bis 1908 war er in der Stadt Gemeinderat. Sein politischer Schwerpunkt lag in der Sozialpolitik und der Sozialgesetzgebung. In Wien eignete er sich die deutsche Sprache so weit an, dass er Reden halten und sich an Debatten im Sozialversicherungsausschuss beteiligen konnte. Hudec betätigte sich im Buchdruckerverein Ognisko, wurde 1901 zu dessen Obmann gewählt und war zeitweise verantwortlicher Redakteur der gleichnamigen Zeitschrift. Daneben war er Herausgeber von mehreren Parteizeitungen.

 

Hudec wurde Mitbegründer der Polnischen Sozialdemokratischen Partei (Polska Partia Socjalistyczna) der sich 1919 die PPSD anschloss. Josef Hudec starb nach kurzer Krankheit in seinem 53. Lebensjahr. Er war verheiratet und hatte acht Kinder.

 

Dr. jur. Hermann Diamand (geb. 30.03.1860, gest. 26.02.1931 jeweils in Lemberg, Galizien) war der Sohn des jüdischen Kaufmanns Jakub Maurycy D. († 1898) in Lemberg. Er besuchte die Realschule und das Gymnasiumin Lemberg, studierte anschließend Rechtswissenschaft an den Universitäten Lemberg, Wien und Czernowitz (Bukowina). 1898 übernahm er das väterliche Geschäft in Lemberg. 1892 wurde er Redakteur der sozialdemokratischen Parteizeitung „Robotnik“ (Der Arbeiter), 1896 -1898 des "Jüdisches Volksblatt", 1907 der "Die Jüdische Volksstimme". Nach 1918 wurde er Generaldirektor der Bank Ludowy (Volksbank) in Lemberg.

 

Diamand seit der Gründung 1892 Mitglied der polnischen Partei der Sozialdemokraten in Galizien und dem Teschener Schlesien. Ab 1907 war er im Vorstand des Klub polskich pos?ów socyalno-demokratycznych (Klub der polnischen Sozialdemokraten) und Mitglied im Präsidiums im Verband der sozialdemokratischen Abgeordneten; ab 1911 war er Obmann-Stellvertreter im Klub der polnischen Sozialdemokraten. Hermann Diamand war 1907 bis 1918 für die Polnische Sozialdemokratische Partei Mitglied des Abgeordnetenhauses.

 

Im Oktober 1918 wurde er Mitglied der Polska Komisja Likwidacyjna Galicji i ?l?ska Cieszy?skiego (Polnische Liquidationskommission für Galizien und das Teschener Schlesien) sowie Mitglied des polnischen verfassungsgebenden Sejm, dem er von 1928 bis 1930 als Fraktionschef der Sozialdemokraten angehörte.

 

Zwei Mitglieder der österreichischen Sozialdemokratie, die aus Lemberg stammten:

 

Olga Hönigsmann - eine der ersten Vorkämpferinnen für den Sozialismus in Österreich

Olga Hönigsmann engagiert sich auch politisch in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs und gründet schon vor dem Ersten Weltkrieg im 1. Wiener Bezirk ein sozialdemokratisches Frauenkomitee. Sie wurde in Lemberg geboren, stammt aus bürgerlicher Familie und erhält - so wie ihre Schwester Rela - eine Ausbildung zur Malerin. Sie wird als Genre- und Porträtmalerin bekannt, verlegt sich aber später auf kunstgewerbliches Gebiet und arbeitet als Modezeichnerin und Stoffmalerin.

 

Schon seit ihrer Jugend hat sich Olga Hönigsmann für die damals ebenfalls noch junge Sozialdemokratie eingesetzt und die Zeit, die ihr neben der Tätigkeit als Modezeichnerin blieb, der Parteiarbeit gewidmet. Sie strebte selbst keine hohen Parteifunktionen an, sie war stets der Meinung, dass sich die vielfältige Kleinarbeit in der Partei letztlich in gewaltige politische Macht umsetzen werde. Umfassende Bildung, reger Geist und große Bescheidenheit gehörten laut Meinung ihrer ZeitgenossInnen zu den hervorstechendsten Eigenschaften von Olga Hönigsmann. Zu ihren Freunden und Bekannten zählten die meisten Größen der Sozialdemokratischen Partei wie zum Beispiel Victor Adler, Käthe Leichter, Otto Bauer, Adelheid Popp, Anna Boschek und Robert Danneberg, um die berühmtesten zu nennen.

 

Sie setzte sich vehement für die Verbesserung der Lage der Heimarbeiterinnen ein. Die Beschäftigung mit dem Los dieser Gruppe, die Olga Hönigsmann ihr ganzes Leben lang am Herzen lag, verband sie auch mit Käthe Leichter, die in ihren Schriften oft auf die sozialen Probleme der Heimarbeiterinnen einging, die sich mit der katastrophalen wirtschaftlichen Lage Österreichs nach dem Ersten Weltkrieg verschärft gehabt hatten. Es waren neben den ArbeiterInnen, die in dieser Branche schon vorher tätig waren, auch die Frauen des nunmehr verarmten Mittelstandes gezwungen, diese schlecht entlohnte Erwerbsarbeit zu leisten. Die Heimarbeit bot sich förmlich an, da sie auch Hausfrauen offen stand. Die große Konkurrenz auf diesem Arbeitsmarktsektor gab den Unternehmern deshalb die Möglichkeit, die Löhne weiter zu drücken und die Bedingungen noch zu verschärfen. Durch den Einsatz von Politikerinnen wie Käthe Leichter und Olga Hönigsmann konnte die Situation der Heimarbeiterinnen verbessert werden. Die Hoffnung Olga Hönigsmanns, der sie in einer Rede Ausdruck gab, den Anschluss an Deutschland nicht mehr erleben zu müssen, wurde nicht erfüllt. Sie erfuhr 1934 das Verbot ihrer Partei unter der austrofaschistischen Dollfußdiktatur und wehrte sich dagegen, indem sie die aus Brünn geschmuggelte „Arbeiterzeitung“ kolportierte, obwohl sie bereits das hohe Alter von 78 Jahren erreicht hatte. Im Jahre 1938 musste die über 80jährige aus Sicherheitsgründen sogar ihre Wohnung verlassen. Die Befreiung Österreichs konnte sie nicht mehr erleben. Olga Hönigsmann starb am 28. Jänner 1942 in Wien.

 

David Josef Bach -  „Alle Kunst, alle echte große Kunst ist revolutionär.“

Geboren am 13. 8.1874 in Lemberg, kam David Josef Bach 1875 mit seiner Familie nach Wien, wo sein Vater als Buchhalter arbeitete. Bach promovierte an der Wiener Universität zum Dr. phil. und begann als Redaktionsstenograph in der Arbeiter-Zeitung, wo er nach dem Tod von Josef Scheu 1904 dessen Nachfolger als Musikkritiker des Blattes wurde.

 

1905 initiierte Bach in Wien die legendären Arbeiter-Symphoniekonzerte, 1906 folgte – nach dem seit 1890 bestehenden Berliner Vorbild – die Gründung der Wiener Freien Volksbühne, deren Ziel es war, auch der Arbeiterschaft ein anspruchsvolles und leistbares Theater zu ermöglichen, und die auch eine eigene Kulturzeitschrift, "Der Strom", herausgab.

1917 wurde David Josef Bach Feuilletonchef der Arbeiter-Zeitung, von 1918 bis 1922 gab er gemeinsam mit Julius Bittner die Zeitschrift "Der Merker" heraus. Als 1919 die Sozialdemokratische Kunststelle gegründet wurde, übertrug man deren Leitung David Josef Bach. Die Aufgabe der Kunststelle bestand darin, den Arbeitern einen Zugang zu kulturellen Angeboten zu ermöglichen, die ihnen bis dahin verschlossen geblieben waren.

1933 verließ Bach die Arbeiter-Zeitung, um sich ganz der Sozialdemokratischen Kunststelle zu widmen, was ihm jedoch nur kurze Zeit vergönnt war. Sein Nachfolger als Feuilletonchef wurde Fritz Rosenfeld. Nach 1934 lebte Bach, der u.a. ein Freund und Mentor von Arnold Schönberg war, als freier Musikschriftsteller. Bach war darüber hinaus auch Mitglied der Vereinigung sozialistischer Schriftsteller und des 1923 gegründeten Wiener PEN-Zentrums.

 

1938 musste David Josef Bach Österreich verlassen; er emigrierte nach England, lebte ab 1940 in London und organisierte regelmäßig "kulturelle Abende" im Klub der österreichischen Sozialisten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde nichts unternommen, um Bach die Heimkehr zu ermöglichen. David Josef Bach starb am 30.1.1947 in London.

 
 

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